Bericht verfasst von Dr. Rupprecht Lange, Kardiovaskuläre Prävention, Universitätsspital Basel, 5. Juni 2018
 
 


Der NZZ Autor Michael Brendler nimmt in seinem Artikel vom 20.05.18 Stellung zur Gesundheit und Ausdauersport. Einerseits wird hierbei auf die positiven Effekte des Ausdauersportes eingegangen, andererseits auf die Risiken – letzteres allerdings sehr akzentuiert (NZZ-Bericht).
Das Abschlussstatement des Autors «Unsportlichkeit bleibt die riskanteste Lebensweise» gehört meines Erachtens in den Titel und an den Anfang und an den Schluss des Berichtes, der Artikel hat dann aber natürlich nicht den gleichen reisserischen Effekt und wäre daher vielleicht journalistisch betrachtet weniger wertvoll – ein Urteil steht mir nicht zu. Allerdings birgt der Text («Ausdauersport kann gefährlich werden») die Gefahr – falls z.B. nur die Überschrift gelesen wird – Wasser auf die Mühlen der «Sport-ist-Mord-Fraktion» zu leiten und damit das Ziel zu verfehlen, mehr Menschen zum Sport zu motivieren.
Vorab sei daher gesagt, dass in allen grösseren Reviews bewiesen werden kann, dass regelmässige sportliche Betätigung lebensverlängernd ist (z.B. «Effect of physical inactivity on major non-communicable diseases worldwide», I-Min Lee et al, Lacet 2012; 380: 219-29). Darum: Run world, run!
Im Zusammenhang mit den möglicherweise negativen Auswirkungen des Ausdauersportes zitiert Hr. Brendler eine gute Studie aus Schweden (Beobachtungen aus dem Vasa-Langlauf-Rennen). Bei intensiv trainierenden Ausdauersportlern kommt es zu Anpassungen des Herzmuskels – die keineswegs nur negativ sind – aber zu mehr Vorhofflimmern im Alter zu führen scheinen. Rhythmusstörungen wiederum können zu relevanten Folgeerkrankungen führen.
Für all das braucht es aber eine Menge Training lebenslang: Bis 50 MET-h/Woche Trainingsleistung zeigt sich eine klare Reduktion der Sterblichkeit (siehe Grafik), danach beginnt das Risiko wieder zu steigen, bleibt aber unter dem Risiko des Nicht-Sporttreibenden! Zur Erklärung der Einheiten: 1 MET-h = 1 kcal je Kilogramm Körpergewicht pro Stunde, entspricht also je nach Intensität das Trainings ca. 5h Rennen pro Woche, je nach Geschwindigkeit also 50-70km/Woche.
 

In der Tat besteht also eine J-förmige Risiko-Situation (Rote Kurve), wie obige Grafik aus “Exercise at the Extremes: The Amount of Exercise to Reduce Cardiovascular Events” (Journal of the American College of Cardiology, Volume 67, Issue 3, 26 January 2016, Pages 316-329) zeigt. Oder: All zu viel kann ungesund sein.
Einleitend zitiert Herr Brendler Jeffrey Lin aus Boston, der 10 Ultra-Langstreckenläufer (5000km in 140 Tagen) untersucht hat und bei einem Drittel der Läufer eine Verschlechterung der Herzgefässe gefunden haben will («Extreme Endurance Exercise and Progressive Coronary Artery Disease» Journal of the American College of Cardiology, Volume 70, Issue 2, 11 July 2017, Pages 293-295). Zunächst einmal ist es eine interessante Beobachtung, die sicherlich weiter untersucht werden sollte, da plausible Erklärungen bestehen könnten: Stress, emotional und physisch, beschleunigt Gefässerkrankungen, dies ist bereits bekannt. Entzündliche Prozesse spielen eine massgebende Rolle bei der Arteriosklerose und Entzündungsaktivität an sich wiederum wird durch Stress ungünstig beeinflusst.
Allerdings ist das Ergebnis der Studie in der NZZ nicht abschliessend korrekt zitiert und die Ergebnisse statistisch nicht signifikant (auch aufgrund des enorm kleinen Kollektivs von 10 Läufern). Herr Lin fand nämlich neben den positiven Auswirkungen auf den Blutdruck zusätzlich eine positive Steigerung des gesunden Cholesterins (HDL) im Blut. Zudem wurde nicht untersucht, welchen zusätzlichen Risiken die Läufer ausgesetzt waren (oxidativer Stress (Abgase/Ozon etc.), Ernährung, psychische Belastung usw.). Einige Läufer waren ausserdem Ex-Raucher, Bluthochdruck-Patienten oder hatten zu hohe Blutfettwerte schon vor dem Rennen – für Gefässerkrankungen die viel höheren Risikofaktoren. Und auch nur diese Läufer zeigten die vermeintlichen Verschlechterungen der Gefässsituation.
Was bleibt also abschliessend zu sagen:

  1. Sport ist gesund!
  2. Wie 1538 zu Paracelsus› Zeiten gilt auch heute noch: allzu viel ist ungesund.
  3. Vor (intensivem) Ausdauersport sollte eine sportmedizinische Abklärung erfolgen, da vorbestehende noch nicht-bekannte Erkrankungen das Risiko für Zwischenfälle erhöhen.

1 thought on “Unsportlichkeit bleibt die riskanteste Lebensweise

Schreiben Sie einen Kommentar