Ein Bericht von Jürg Lienhard
Das Wandern ist des Müllers Lust? So eine abgedroschene Phrase für einen Schulaufsatz – Pah! Doch steckt da aber viel mehr drin, als das, was wir seit Primarschultagen gedankenlos nachplärren. Vielleicht weiss der eine oder die andere, dass das Gedicht zu einem Liedzyklus von Franz Schubert gehört? Da sind wir aber schon bereits auf einem Nebengeleise, so wie die vorwitzig Vorauseilenden auf unserer Wanderung, die Rolf samt Hund(ziker) Jimmy vergeblich bei der falschen Abzweigung wieder auf den rechten Weg zu holen versuchte. Aber wenn wir schon mal dabei sind: Der Text zum Wander-Müller stammt sogar von einem Müller, von Wilhelm Müller, der von 1794 bis 1827 lebte und dichtete, also mitten in die Romantik hinein: Romantik war damals die revolutionäre Antwort auf die verbleichende Klassik, die noch arg verbandelt war mit den feudalen Verhältnissen vor der Französischen Revolution. Die romantische Revolution wurde angezettelt von einem, der forderte: Zurück zur Natur, was eigentlich heute Vorwärts zur Natur heissen müsste.…
Burg Wildenstein
Immerhin haben wir das ja auf unserer Wanderung versucht. Nur leider etwas zu rasch, zu ungeduldig. Denn hätten wir das Lied des wandernden Müllers noch ganz im Gedächtnis behalten und es bis zur letzten Zeile gespeichert gehabt, wären wir erstaunt, was es in der letzten Zeile des letzten Refrains heisst: …Lasst mich in Frieden weiterzieh’n… Dieser Müller suchte nämlich den Frieden mit sich und damit mit der Welt. Und Wandern tat er nicht um des Wandern willen, auch nicht, weil es damals keine Autos noch Eisenbahnen gab, sondern weil das für jeden Handwerker eine Pflicht war. Man nannte es die Walz. Durch die Walz kam der Handwerker nicht nur in der Welt herum, sondern er lernte bei fremden Meistern dazu, lernte Neues und neue Techniken, die er nach den Wanderjahren zurück nach Hause brachte. So kamen Bautechniken aus dem reichen Venedig bis ins Elsass, bis in den Norden zu den Nordlichtern. So gab es einen Austausch von Erfindungen von Ost nach West und über den Kontinent, und kein Patentanwalt verhinderte das, weil Patentanwälte erst mit dem Kapitalismus auf die Szene traten. Auch Künstler wanderten und mit ihnen ihre Sujets: Was an Motiven der Renaissance-Malereien am Basler Rathaus nun prächtig restauriert zu bewundern sind, findet man in vielen Städten Europas von ähnlich begabten Malern wie unser Holbein, der wegen der Reformation hier brotlos wurde und darum von Basel an die Themse aus-wanderte…
Eigentlich ist das Wandern die einzige Fortbewegungstechnik, die aufmerksames Erleben erfassbar macht. Seckeln oder auch Velofahren geht da viel zu schnell. Nicht zu reden vom militärischen Schritt, zu dem sich die gewohnt schnellen Läufer beim Wandern getrieben fühlen mögen. Auf jeden Fall ist unsere ganze Gruppe, übrigens mit Rekordbeteiligung von 29 Personen, grad zu Beginn unserer Wandung in Reigoldswil schnurstracks am Fäld-Ruedis Haus vorbeigeseckelt, äh gewandert. Ich habs genau gesehen, dass das riesengrosse Plakat vor dem Posimänter-Museum von niemand eines Blickes gewürdigt wurde. Dabei hat unsere Gruppe etwas Kostbares verpasst. Es wäre zumindest eine halbe Stunde wert gewesen, in diesem Haus kurz einen Besuch abzustatten und vielleicht unterwegs seine Geschichte erzählt zu bekommen.
Also versuche ich es jetzt hier nachzuholen: Gewiss ist der Name Fäld-Ruedi so eine Oberbaselbieter Namens-Marotte: Em Meieli-Lisi si Bueb zum Beispiel. Sicher weiss ich einzig, dass der Ruedi Plattner darin von 1886 bis 1978 als letzter Posimänter in diesem Haus zum Feld wohnte und arbeitete. Der also so genannte Fäld-Ruedi verfügte in seinem Testament, dass sein Haus der Gemeinde als Heimatmuseum vererbt werde, weil er eine gute (!) Erinnerung an Lehrer und Schüler der Sekundarschule hatte. Ich nehme an, nicht durch seine Erfahrungen als Schüler, sondern durch die Besuche der kundigen Lehrer und deren aufmerksamen Sekundarschüler in seinem Heim. Das war nämlich eines der letzten und der authentischsten Posamenter-Bauernhäuser des Feufliber-Tales, wie die Dörfer von unten von Bubendorf an aufwärts bis Reigoldswil heissen. Hier hatten die Leute von ihrem kargen Posimänter-Lohn sich mühsam Batzen bis zu einen Fünliber gespart und dann das Geld dem Sparverein anvertraut. Das war noch bis vor kurzem so, wie mir Reini im Bus auf der Fahrt von Lieschtel nach Reigoldswil erzählte. Dann aber kam die Bankenaufsicht und verbot den Sparvereinen das Sparen, das foratan den Banken vorbehalten bleiben musste – praktisch zinslos…
Der Suter Remy hat mir vorletztes Jahr das Fäld-Ruedi-Huus ausführlich gezeigt, als ich für RegioKultur Basiliensis eine Exkursion auf den Spuren der Posamenter des Oberen Baselbietes organisierte. Posamenter kommt aus dem Französischen und heisst passementerie, was auf Deutsch wiederum Posamenterie heisst… Am besten ist, wenn ich das umschreibe: Posamenterie nennt man die in Heimarbeit gewobenen Bändel. Das waren im 19. bis tief ins 20.Jahrhundert hinein die Einnahmensquelle der mausarmen Oberbaselbieter Bauerndörfer, zumal im Feuflibertal. Die Basler Bändel-Heere, die Seiden-Barone aus dem Daig – die Vischers, Buckhardts, Merians und Sarasins – liessen die von ihnen teuer in der ganzen Welt verkauften Seidenbändel bei den Heimarbeitern der Oberbaselbieter Bauerndörfer herstellen. Die Seidenfäden wurden von den Bottenwagen vom Basler Dalbeloch ins Baselbiet gefuhrwerkt. Die Bauern schliesslich spannen die Fäden zu kunstvoll gestalteten Bändeln auf Webstühlen, die ihnen die Syydeheere zur Verfügung stellten. Diese mächtigen Maschinen nahmen den ganzen Platz in der ehemaligen Stube ein. Die armen Oberbaselbieter Bauern verdienten sich durch diese Heimarbeit ein Zubrot, zumal nachts nach der schweren Feldarbeit. Dabei war die ganze Familie eingespannt, sogar die Kinder, die Fadespüeli wickeln mussten, während die Frauen mit ihren feinen Fingern die unglaublich vielen Fäden durch ein kompliziertes System auf den Webstühlen einfädeln mussten.
Der Geschichte und der Tätigkeit der Posimänter im Oberbaselbiet ist im Kantonsmuseum in Liestal eine Dauerausstellung gewidmet, die es sich sehr lohnt, da mal hineinzuschauen. Vielleicht wird dann dem einen oder anderen klar, warum es kürzlich trotz grosser Anstrengungen der Basel-Städter nicht gelungen ist, die Oberbaselbieter für das Projekt einer Wiedervereinigung der beiden Halbkantone zu bewegen. Das Land trennte sich 1833 nach einer kurzen, heftigen, blutigen Auseinandersetzung auf der Hülftenschanz bei Liestal von der Stadt. Die Eidgenössische Tagsatzung verfügte – noch vor der Gründung des neuen und heutigen Staats 1848 – die Trennung der beiden Kantonsteile Basel in eine Stadt und in eine Landschaft. Das gilt bis heute und ist mit der letzten sogenannten Wiedervereinigungs-Abstimmung 2014 (!) auch für die Zukunft nicht mehr wiedergutzumachen. Obwohl bei dieser Abstimmung nicht über die Wiedervereinigung sondern nur über eine vorberatende Kommission hätte beschieden werden sollen…
Jetzt bin ich im Falle nicht vom Weg abgekommen. Im Gegenteil. Das sind die Themen, die mir auf dem Weg unserer Wanderung in Erinnerung gerieten…
Aber jetzt doch noch ein paar konkrete Erlebnisse auf dem Wanderweg: Nach dem Durchmarsch vor dem Fäld-Ruedis-Huus stiegen wir steil durch eine Schlucht hinauf Richtung Titterten, vorbei an der Ruine Rifenstein. Zwar machten wir ausgerechnet vor einer grossen Tafel mit drei Varianten Sagen dieser sagenhafte Ruine Halt. Aber Wandern heisst für die Läufer nicht unbedingt Lesen… Darum ganz kurz aus meiner Erinnerung, was da auf der Tafel stand: Die Ritter von Rifenstein waren Raubritter, wie sie in unserer Kindheitserinnerung nicht wilder und spannender erscheinen. So wie sie Tomi Ungerer in seinem Cartoon-Band Die drei wilden Raiber schildert. Es soll auf der Ruine ein Räuberschatz vergraben sein, aber ausser ein paar rostigen Pfannenstielen, wurde er bislang noch nicht gefunden… Und in Vollmondnächten soll ein mit Räuber-Schätzen beladenen Wagen hinter der Ruine hervorschauen, was man aber nur unter ganz besonderen Bedingungen sehen kann…
Schiessübung
Kaum Titterten durchquert, liefen wir Gefahr, von den Dorf-Schützen abgeknallt zu werden: Wir konnte nicht wissen, dass unser Wanderweg ausgerechnet durch das Zielgebiet des Schützenvereins führte. Eine aufgeregt winkende Dorfbewohnerin kam uns entgegen, um uns zur Eile anzutreiben, denn die Schützen auf dem gegenüberliegenden Hügel legten bereits auf uns an…
Ich habe leider nicht alle Stationen dieses wunderbaren Wanderweges aufgeschrieben, weil mich Margrit erst zum Schluss der Wanderung zu diesem Bericht verknurrte. Auf jeden Fall blieb mir nachhaltig der Zwischenhalt mit Apéro im Wald auf dem Gugger in Erinnerung: Da gab es mitten im Wald eine Raststätte mit einem Tisch und Baumstämmen als Sitzgelegenheit. Hier liess es sich gut sein, denn Margrit hatte eine glückliche Hand bei der Auswahl des Weines – ein roter Primitivo. Sie beteuerte, dass sie nichts von Wein versteht – aber Anfänger haben eben immer Glück… Die Stimmung war denn entsprechend, zumal auch das Knabbergebäck und weitere Apéro-Köstlichkeiten regen Zuspruch fanden. Und schliesslich war die Temperatur noch angenehm appetitanregend.
Der Wanderweg führte übrigens durch romantische Schluchten, teils dunkel und malerisch felsig. Man sah gut, dass diese Wanderroute nicht nur gut ausgebaut, sondern auch beliebt sein muss. Margrit hat zur vorausgehenden Rekognoszierung der Route den Weg umgekehrt absolviert. Deswegen wusste sie auch, wo man nach dem Arxhof, der Erziehungsanstalt für problematische Jugendliche, rechts abzweigen musste. Eine vorauseilende Gruppe jedoch verpasste prompt die Abzweigung… (siehe oben). Von weitem sahen wir dann noch die Ruine Wildenstein, die vor der Kantonstrennung eine historische Rolle gespielt hat (aber lassen wir das).
Schliesslich erreichten wir das Ziel Bubendorf – leider nur über die geteerten Quartierstrassen. Ich erwähne das hier, weil ich als Bub auf einem Ganztägigen, wie wir Städter dem jährlichen Schulausflug sagten, da noch auf ungeteerten Dorfwegen durchs unglaublich langgezogene Strassendorf an der Hinteren Frenke wanderten. Da gab es noch kaum Autoverkehr, aber immerhin das Postauto.
Dafür erwartete uns LSVB-Wanderer das Restaurant Heimelig. Vor zwei Jahren wartete ich mal darin auf meine Freundin, die den Musikverein Bubendorf dirigiert – und zuweilen auch basel sinfonietta. Damals war die Beiz ziemlich heruntergekommen, so dass ich mich auf das Schlimmste gefasst machte, als ich hörte, wo wir uns verpflegen würden. Aber es zeigte sich, dass sie sich inzwischen zu einer ganz anständigen Gastwirtschaft entwickelt hatte. Allerdings auch mit ganz anständigen Preisen… Unsere Gruppe war vielleicht etwas zu gross für diese heimelige Wirtschaft, so dass einige von uns an separaten Tischen vorne beim Buffet Platz nehmen mussten. Der Kinderwagen von Lut – die mit ihren Zwillingen zum Nachtessen zu uns stiess – wurde als zusätzlicher Raumtrenner platziert. Propevoll wäre wohl das richtige Wort für die Platzverhältnisse im Restaurant.
Margrit schrieb in der Einladung für die Wanderung vom 25. Oktober 2014: Noch weht uns die warme Sommerluft ins Gesicht… Davon war auf der Wanderung nichts mehr zu spüren, auch wenn ich beim übereilten Aufbruch relativ früh am Abend, Mütze und Jacke vergass, so dass ich – schon zuhause angelangt – mit dem Auto zurückfahren musste, um die Sachen zu behändigen… Erstaunlicherweise – es war noch lange nicht Polizeistunde, noch lange nicht Zeit für den letzten Bus – aber es blieb niemand von den Geeichten LSVBlern übrig. Die Wirtsleute waren schon mit dem Uffestuehle beschäftigt…
Übrigens wanderten wir zwar ohne Benetzung von oben, aber unten wateten wir immer wieder im Pflutter, und die Sommerluft war auch schon auf kühle herbstliche Temperaturen eingestellt. Die Lust am Wandern wurde uns aber dadurch nicht genommen. Auf jeden Fall hat Margrit auf ein sehr lohnendes Wanderziel getippt, das vielleicht im Sommer um so reizender wirkt. Falls man an den Schönheiten nicht vorbeiseckelt…
Jürg Lienhard
Mit diesem Link kommt ihr zu den Bildern vom Herbstbummel.

2 thoughts on “Herbstbummel 2014 zwischen Reigoldswil und Bubendorf

  1. Lieber Kabis. freute mich, Dein Kommentar. Jetzt hast Du einen gefunden, dem auch Du mal Gemüse anhängen darfst. Haben wir gelacht deswegen, und einen schönen Gruss von Deinem Kollegen Bott, der mit mir im selben Fitness-Club Mühlematt in Oberwil ist… Er erzählte, dass Du den Halbmarathon unter eineinhalb geseckelt bist. Wow! Gratulation! Jürg

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