Hessische Schweiz, Sächsische Schweiz, Mecklenburgische Schweiz, Böhmische Schweiz, Luxemburgische Schweiz, Grönländische Schweiz, Spanische Schweiz, Pommersche Schweiz, Chilenische Schweiz, Suiça Brasileira usw.. Zweihundert Mal gibt’s eine Schweiz irgendwo auf der Welt. Gerne wurden charmante Hügellandschaften mit dem Zusatz Schweiz versehen, oder die örtliche Tourismusbranche hat’s aus Marketinggründen angehängt, weil’s da schön sei, wie hier bei uns zuhause.
Die bereits genannte Sächsische Schweiz und die Fränkische Schweiz sind wohl die weltbekanntesten Schweizen, ausserhalb der Schweizer Schweiz. Letztere liegt im Dreieck Nürnberg, Bayreuth und Bamberg und es sieht tatsächlich so aus wie im Oberbaselbiet oder im Jura. Allerdings gibt’s auf den Muschelkalkfelsen viel öfters Burgen, Schlösser oder Klöster zu sehen als wie in Helvetien. Dazwischen gibt’s nette Dörfer und Altstädtchen mit Fachwerkhäusern. Zudem soll hier das weltweit grösste Vorkommen an Brauereien vorkommen und so wie’s mir vorkommt: Das stimmt. Ein abwechslungsreiches Reiseland also, wo auch Marathon gelaufen wird.
FränkischeSchweiz
Ich hab’s im Kreuz und nicht zu knapp, eine üble Prellung. Ergonomisch geformte Autositze unterstützen heutzutage die Wirbelsäule auf raffinierte Weise, das haben sich Orthopäden und Konstruktionstechniker gemeinsam ausgedacht. Bei mir hat das aber dramatische Wirkung, anstatt dass der Sitz stützt, setzt er genau da Druck auf, wo’s am meisten Schmerz. Nach ein paar hundert Kilometern Autofahrt bin ich da wo der Rücken aufhört: am Arsch. Und morgen ist Marathon.
Beim Frühstück werfe ich zwei Tabletten ein. Vom gemeinen Langstreckenläufervolk gibt’s ja viele, die machen das generell und ohne eine Verletzung vorzuweisen, damit dann der Muskelkater oder sonst irgendein Schmerz beim Marathon nicht allzu arg werden würden täte. Das halte ich per se für eine Sauerei. Das ist Beschiss an der Langstrecke. Wenn man weit läuft, muss das weh tun. Man will und soll schliesslich etwas fürs Startgeld kriegen.
Die B 470 ist eine der Hauptverkehrsadern der Fränkischen Schweiz. Da wird gelaufen, hin und zurück. Vollsperrung. Über beide Wendepunkte hinaus sind gleich noch ein paar Kilometer mehr gesperrt. Man verkauft das hier als autofreien Sonntag für Radfahrer, Skater und Rollskipiloten. Los geht’s in Ebermannsdorf und das Wetter ist hier und heute so ziemlich das lausigste der gesamten Bundesrepublik, kühl mit dichter Bewölkung die dicht hält, obwohl’s ganz anders aussieht. Nach Regen in den nächsten fünf Minuten sieht’s aus. Nach fünf Minuten sieht’s nach Regen in den nächsten fünf Minuten aus. So geht’s den ganzen Tag. Am Abend bei Rückkehr im Hotel sieht’s nach Regen in fünf Minuten aus. Nach fünf Minuten regnet es. Aber um schnell zu laufen war es perfekt, hätte ich nicht das Kreuz mit dem Kreuz gehabt.
Zuerst starten die Handbike-Fahrer, später Inline-Skater, am Schluss die Läufer aus dem Tal raus zum Wendepunkt bei Kilometer 5. Und schon bald kreuzen wir die mit Affenzahn entgegenkommenden Inliner. Es folgt bald die Spitzengruppe der Handbiker mit Affenzahn. Eine Weile nach meinem Wendemanöver komme ich wieder bei Start und Ziel vorbei und – Leck mich am Arsch! – der erste Inliner fährt gerade ins Ziel. Der ist acht Minuten vor mir gestartet. Der hat 42 Kilometer abgewetzt. Ich bin gerade bei Kilometer 10.
Nicht dass ich mich nicht anstrengen täte, doch bei der Witterung ist mir kühl. Ein Drittel ist rum und da vorne hört man Musik. Ich sehe grün-gelbe Kostüme. Eine Samba-Gruppe und ich traue meinen Augen nicht. Es geht jetzt nicht wirklich um die mit den grün-gelben Kostümen. Es geht um die ohne grün-gelbes Kostüm. Die in der Mitte. Ohne grün-gelbes Kostüm entspricht nicht ganz der Akkuratesse. Gemeint ist: ohne Kostüm. Besser gesagt: ohne Kleider. Die trägt Bikini. Wobei, bei handelsüblichen Bikinis verwendet der Hersteller in aller Regel das Doppelte an Gewebe als was die montiert hat. Ich kenne mich da aus, ich mache seit Jahren Erhebungen darüber beim Strandurlaub. Dabei trage ich Spiegelsonnenbrille. Nicht wegen der Sonne. Damit man nicht sieht, wohin ich glotze! Funktioniert tipptopp. Die Angestarrte merkt das a) niemals, b) die kommt nicht mal in die Nähe des Bereiches, wo sie Verdacht schöpfen könnte und c) und vor allem wichtig, für die eigene Angetraute, falls gerade in Begleitung, gilt dasselbe.
Die Brasilianerin friert sich hier einen ab. Mir wird dabei wärmer. Eigennützigerweise schaue ich nochmals zurück und zolle mit einem letzten geseufzten: «Leck mich am Arsch!» Respekt. Ich muss weiter. Aber das Beste an der Geschichte: Hier komme ich ja nochmal vorbei!
Versuche mich wieder an die momentan wichtigen Dinge im Leben zu konzentrieren. Will heissen: Ich bin beim Laufen und habe ein mittelprächtiges Hämatom irgendwo zwischen Muskelsträngen im Rücken. Aber immerhin, schlimmer wird’s nicht. Anfängliche Schmerzen sind sogar weg. Mache ich testhalber eine unübliche Bewegung mit dem Oberkörper, zwickt es dann schon.
Wo kämen wir hin, wenn alle sagten, wo kämen wir hin und keiner ginge, um zu sehen, wohin wir kämen, wenn wir gingen?
Drum ging ich heute nach dem Frühstück zum Laufen, um zu sehen, ob’s ginge. Der halbwegs Schlaue hätte es gar nicht erst versucht und anstatt einen auf Müslifrühstück einen auf Sektfrühstück gemacht und sich wieder hingelegt. Der Widerspruch im Thema, wer mich fragt, mit oder ohne Verletzung, Sektfrühstück macht immer mehr Sinn. Nach dem Frühstück fuhren wir nach Ebermannstadt. Allerdings war morgens um sieben die B 470 bereits weiträumig abgesperrt, also inklusive Zufahrtstrassen. Wir mussten umfahren. Zweimal bei einer Abschrankung mit Fahrverbot vorbei, allerdings musste ich ja irgendwie nach Ebermannsdorf an die B 470 und das war auch möglich. Nicht auf die B 470, aber bis zur B 470. Darauf war auch eindeutig bei den Absperrungen hingewiesen.
Da muss auch eine Horde Harley-Fahrer, mit Tomaten auf allen Augen, vorbei gekommen sein. Und durch, auf einer Nebenstrasse bis zur B 470. Nur, da war halt endgültig Fahrverbot und eine Polizeistreife die der Sperrung die nötige Nachhaltigkeit verlieh, während dem sie den Läufern zusah. Der Fall ist klar. Denkst du. Das sind Harley-Fahrer. Jetzt wird erst mal diskutiert, was man alles vor fünf Kilometern nicht begriffen hat.
Man muss wissen, für den gemeinen Motorradfahrer ist der gemeine Harley-Fahrer das Feindbild in den eigenen Reihen. Der gemeine Harley-Fahrer pflegt mit deutlich unterschrittener Geschwindigkeitsvorschrift die anderen Verkehrsteilnehmer zu behindern. Aber Lärm verursachen, wie ein Tiefflieger mit Überschall, das können sie. Im Ernst, was für den Läufer der Walker ist, ist für den Motorradfahrer der Harley-Fahrer. Jedes Mal wenn mir so eine Zwiebel mit Astronauten-Helm mit reflektierendem Spiegel-Visier entgegen kommt und mit seinen Wurstpfoten das Victory-Zeichen in den Fahrtwind grüsst, wird mir schlecht. Des Harley-Fahrers neue Fransen-Lederhose quietscht bei jedem Schritt. Und er steckt mitten in der Midlife-Krise. Aber weil er eben mitten in der Midlife-Krise steckt, ist das eben keine mittlere, sondern eine saumässig grosse Krise.
Und Harley-Fahrer haben nie Motorradfahren gelernt. Meinen, weil sie noch nie gestürzt sind, seien sie gute Piloten. Dabei ist gegenteiligstes der Fall. Ein guter Motorradfahrer hat mit seinem Hobel mannigfaltig Flurschäden verursacht, so dass seine Knochen geborsten sind. Motorradfahrer sein wird nicht mit dem Führerschein bewiesen; man beweist es mit den Schatten von eingeschraubten, eloxierten Metallteilen auf Röntgenbildern. Ja und dann haben die Harleys so überdimensionierte Hinterräder. Das kennen wir alle. Und der Nichtmotorradfahrer wundert sich, wofür das gut sei. Für nichts, kann ich beruhigen. An der Harley, die Lenker sind auch so ausladend, zu breit und viel zu weit nach vorne gerichtet montiert. Da hängt der Fahrer mit ausgestreckten Armen mühsam und unbequem dran, wie eine vollgeschissene Windel an einer Wäscheleine bei Westwind. Dabei flattern die Fransen an der Wildlederhose gemeinsam und synchron mit den Achselhaaren im Fahrtwind. Die ärmellose Jeanswesten wo «Born to be wild» hinten drauf steht, macht’s möglich. Im selben Zug strecken sie ihre Beine breit vorne weg, seitlich über einen Bügel. Wie Frauen auf dem Gebärstuhl. Widerlich! Und stöhnen wie Frauen auf dem Gebärstuhl tun sie auch, weil bei den ganzen Vibrationen ihre Hämorrhoiden wundgescheuert werden. Das hört man aber nicht, weil ja die Auspuffanlage viel zu laut ist, womit dieser technischen Änderung zwecks Lärmbelästigung doch noch eine gewisse Rechtfertigung widerfährt.
Einige alten Kumpels vom Motorrad-Treff. Heute, die fahren Harleys. Hat mal einer gesagt, ein Sportler hört nie auf Sportler zu sein. Hört er auf Sportler zu sein, ist er nie Sportler gewesen. Ich sage, ein Motorradfahrer hört nie auf Motorradfahrer zu sein. Kauft er sich eine Harley, ist er nie Motorradfahrer gewesen.
Laut fluchen geht nicht, ein Stich in den Rücken nimmt mir jede Luft dazu. Von einem Schritt zum nächsten trifft mich die imaginäre Messerklinge, die der gemeine Harley-Fahrer im Gürteletui an seiner Seite trägt, genau zwischen meine Rippen. Ich hatte meine Verletzung vergessen, aber die Verletzung mich nicht. Kilometer 21. Bei 26 ist der Wendepunkt und die Sanität die mich zurückfahren könnte. Soweit muss ich noch. Meine Notfallpille werfe ich ein. Beim Marschieren schmerzt es mehr. Also langsam laufen. Irgendwann wird es etwas besser und ich taktiere, spekuliere, wende Psychologie an:

  • Die Strasse verläuft leicht bergwärts, nach dem Wendepunkt talwärts. Die Steigung, das Gefälle könnten sich durchaus auf meinen Stütze-/Halteapparat auswirken.
  • Vielleicht wird’s abwärts besser. Oder noch verreckter?
  • Mutter ärgert immer Vater, weil er gerne zum Doktor geht. Sie geht da nicht hin und er täte auch besser mal ein wenig auf die Zähne beissen usw. usw. meint sie. Wenn ich heute dem Schmerz klein beigebe, ihren Blick will ich nicht erleben, wenn sie dann feststellt: «Ja wie, Aufgabe? Ich weiss schon, wo du das her hast.» um triumphierend fortzufahren: «Jedenfalls – von mir hast du’s nicht!» Und schon hat sie eine Brücke zu ihrem Lieblingsthema geschlagen: «Weisst du wie viele Schmerzen ich bei deiner Geburt ertragen musste?» Was eine rein rhetorische Frage ist, denn sie wird gleich weiter machen und mir wieder den ganzen Scheiss von der schwierigen Zangengeburt, Vakuum-Glocke inklusive, der stundenlangen Ratlosigkeit des Arztes, der nicht mal gescheit den Dammschnitt platzieren konnte, vorhalten. Ich bin bereits so weit, dass ich mir an meiner eigenen Geburt schon selber die Schuld gebe!
  • Ein Fakt stellt aber alle obigen Punkte überlegen in den Schatten: An der Strecke steht die Brasilianerin! Das will ich wieder sehen.

Wie gesagt, böse Zungen behaupten, die Brasilianerin trägt Bikini mit zu wenig Stoff. So Zeugs kenne ich von den Pin-Ups die in der Autowerkstätte meines Kumpels hängen. Auf Döner-Deutsch: Mit viel scharf! Kaum zu ertragen. Und was die dem mickrigen Stöffchen entgegen hält, ist alles andere als eine Durchschnittsoberweite, was einem nachhaltig den letzten Atem raubt. Der pralle Busen quillt an allen Ecken und Enden hervor. Quasi nur die Spitzen der Eisberge sind kaschiert. So hab› ich’s gesehen, wobei das kann gar nicht sein. Ob ich mich getäuscht habe, kann ich bald nachprüfen, denn da vorne kommt sie wieder in Sicht.
Raffiniert bestickte, zwanzig Zentimeter breite Bänder trägt sie als Schmuck an den Fesseln, auch an beiden Handgelenken. An ihrer Haube glitzert dasselbe Material. Der ganze Kopfschmuck wird mit Pfauenfedern vollendet. Vielleicht sind’s auch Federn von einem anderen Geier. Woher soll ich das wissen, ich hab’s ja nur flüchtig mitbekommen, weil mein Blick doch ganz wo anders nachzuprüfen hatte. Das war vor zwei Stunden keine Täuschung. Eindeutig, das Gros der Eisberge liegt blank, also genau umgekehrt als in Natura, wo nur die Spitze aus dem Meer lugt. Der Geschichte mit der Titanic, kann man bei diesem Anblick schon etwas abgewinnen: Volle Fahrt voraus und ab auf den Eisberg. Und dann ständig unanständig kreist sie mit den Lenden. Oder schüttelt und rüttelt mit ihren Arschbacken. Weltklasse. Ich Idiot laufe weiter.
Ich kann das Aufsatzschreiben an dieser Stelle abbrechen. Nichts was dagegen noch erwähnenswert wäre. Ab ins Ziel und dann ins Hotel. Längst vergessen was sonst noch passierte. Eigentlich habe ich das Meiste vom Tag vergessen. Ich weiss nur noch, wovon ich nachts träumte. Das darf ich hier aber nicht hin schreiben. Jedenfalls, es war nicht von schlechten Eltern. Von der Suiça Brasileira, einer Hügellandschaft. Zwei Ausläufer derer am Strassenrand in der Fränkischen Schweiz. Mit viel scharf! Mit alles scharf! Mit Bikini. Mit fast ohne Bikini. Samba, Samba – Rambazamba. Ich kann gar nicht tanzen, scheissegal. Die ganze Zeit spreche ich im Traum. Graziella hört mit und prompt hat sie erotische Fantasien. Mit mir läuft aber nix. Kann mich unmöglich im Liegen bewegen, denn im Nachhinein schmerzt’s im Rücken schlimmer denn je zuvor. Was zu Hause wieder Anlass für Mutters Vortrag in Sachen Geburtsschmerzen geben wird. Wenigstens hilft mir dabei Vater, wenn auch unfreiwillig. Irgendwann sind wir nämlich am Punkt, wo er nachfrägt, weil er etwas ihres Gezeters akustisch nicht mitbekommt. Und schon lässt Mutter mich in Ruhe, weil wie ein Säbelzahntiger lässt sie vom Opfer ab, wenn eine fettere Beute in Erscheinung tritt. «Und wieso muss ich so viel Geld für deine Hörgeräte ausgeben, wenn du trotzdem nichts verstehst?», wird sie von Vater wissen wollen. Und wenn du’s verstehst, begreifst du’s nicht… …. Hehe, und so weiter. Hauptsache ich bin da raus. Wie im Nike-Werbespot, wo die zwei Afrikaner im Busch auf den Löwen treffen. Da fängt der eine an seine Schuhe zu binden. Frägt der Zweite, ob er tatsächlich meint schneller als der Löwe laufen zu können. Nein, aber schneller als du, antwortet der Erste.
In diesem Sinne: viel Glück beim Marathoning

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